Am Anfang brauchte es Toleranz
Was heute nur bei ca. 15 % von uns Mitteleuropäern zu beobachten ist und deren Auswirkungen heute verhältnismäßig einfach mit Tabletten gelindert werden können, war zu Zeiten der Jungsteinzeit noch die Regel: Laktoseintoleranz. Im Südural lebten vor etwa 7000 Jahren die ersten Menschen, die auch im Erwachsenenalter gut Milch bzw. den Milchzucker vertragen konnten. Ursprünglich konnte dieser wahrscheinlich nur von Säuglingen verdaut werden, die noch Muttermilch bekamen.
Erst als unsere Urahnen begannen sesshaft zu werden und die Domestikation von Tieren der Jagd vorzuziehen, entdeckte die Menschheit die Milch für sich. Eine zufällige Genmutation sorgte bei den ersten Siedlern dafür, dass – zumindest bei denjenigen, die das veränderte Gen in sich trugen – Milch und ihre Produkte nun problemlos verdaut werden konnten. Ein riesiger Vorteil, vor allem dort, wo frostige Winter keine ausreichende pflanzliche Nahrung zuließen. Diese Zusammenhänge merken wir heute noch sehr deutlich: ein Großteil der Menschen in Regionen, in denen damals die Viehzucht begann und die Tiere zuerst gemolken wurden, vertragen Milchzucker. In Teilen Asiens und auch Afrika hingegen ist es gerade einmal ein einstelliger Prozentsatz der Bevölkerung.
Andere Länder, andere Sitten
Neben der wertvollen Eigenschaft von Wiederkäuern, für uns Menschen unverdauliches Gras in umso wertvollere Milchprodukte zu „verwandeln“, spielt die Haltung von Milchkühen gerade auch in Regionen der Welt eine wichtige Rolle, die mit trockenen und kargen Böden auskommen müssen. Milchkuhhaltung hilft besonders dort, die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Wo Felder und Ackerbau nur geringe Erträge bringen, finden die Tiere oft noch genug Futter und geben ausreichend Milch. Je nach Kulturkreis ist es dabei ganz unterschiedlich, welche Tiere gemolken werden: Rind, Büffel, Ziege, Schaf, Yak, Esel, Pferd, Kamel, Lama, Rentier oder Elch. Im weltweiten Milchhandel geht es aber hauptsächlich um Kuhmilch. Da wir hessischen Bauern auch deutlich mehr Kühe als Rentiere halten, wollen wir uns auch hier einmal auf die Kuhmilch konzentrieren. Hier in Deutschland und Hessen haben aber auch Schaf- und Ziegenmilch, vor allem als Käse, oft einen Stammplatz in den Kühlschränken.
Von A wie Ayran über L wie Latte Macchiato, S wie Skyr bis Z wie Zaziki
Wo sollen wir anfangen und wo aufhören? Kaum eine Lebensmittelgruppe ist so vielfältig wie die der Milchprodukte. Zum bestehenden Sortiment kommen jedes Jahr neue Produkte auf den Markt. Einen Überblick über die Breite der Produktpalette zu geben, ist eine Mammutaufgabe.
Mal ein paar Zahlen: Der Pro-Kopf-Verbrauch von Trinkmilch in Deutschland lag im Jahr 2020 bei 49,9 kg. 2018 waren es noch knapp 51 kg. Im europaweiten Vergleich liegt Deutschland damit relativ weit hinten. Europäische Spitzenreiter waren die Iren mit 123 kg, gefolgt von den Finnen mit 109 kg.
Und schließlich trinken wir Milch nicht nur, sondern essen sie auch – in Form von Käse, Joghurt, Quark und vielen, vielen anderen Milchprodukten, die wir tagtäglich im Kühlschrank haben. Wir versuchen mal, alle zusammen zu bekommen:
- Käse: zum Beispiel Hartkäse, Schnittkäse, Weichkäse, Frischkäse, Quark
- Butter: Sauerrahmbutter, Süßrahmbutter, mildgesäuerte Butter, Butterschmalz
- Sahneprodukte: Schlagsahne, Kaffeesahne
- Sauermilchprodukte: Joghurt, Kefir, Buttermilch, Dickmilch, Saure Sahne, Schmand
- Molkenpulver und Milchpulver z.B. auch für Babynahrung
- Molke
- Kondensmilch
Noch ein paar mehr Zahlen: Die Iren essen vergleichsweise wenig Käse, nur 6,1 kg pro Kopf und Jahr. Finnen hingegen können gar nicht genug davon haben: 25,7 kg Käse verzehrt jeder von ihnen im Jahr, dicht gefolgt von uns Deutschen mit 24,2 kg. Ein Durchschnittseuropäer isst etwa 3,5 kg mehr Joghurt und Sauermilcherzeugnisse im Jahr als ein Deutscher. Die Schweden essen pro Kopf fast 33 kg im Jahr. Interessant, wie unterschiedlich die Geschmäcker doch sind, oder?
Einmal zur Orientierung: Im Durchschnitt geben unsere Kühe täglich 22 Liter Milch. Daraus können zum Beispiel 5 Päckchen Butter, 22 kg Joghurt oder 2,2 kg Käse hergestellt werden.
Was ist eigentlich drin?
Milch und Milchprodukte enthalten eine einzigartige Kombination aus fast allen lebenswichtigen Nährstoffen.
Der Milchzucker Lactose sorgt als Kohlenhydrat für mächtig Energie. Er ist der Grund für den leicht süßen Geschmack, schädigt den Zahnschmelz aber nicht. Laktose ist elementar für die Herstellung von Sauermilchprodukten wie Joghurt, da die Milchsäurebakterien einen Teil der Laktose zu Milchsäure abbauen. Gerade im jungen Alter unterstützt sie die Aufnahme von Mineralstoffen wie Kalzium, Magnesium, Jod und Zink.
Stichwort Kalzium: Milchprodukte sind exzellente Kalziumlieferanten und stärken Knochen und Zähne. Das liegt aber nicht allein am Kalziumgehalt der Milch: Der Körper kann das Kalzium aus Milchprodukten besonders gut aufnehmen und in die Knochen einbauen, weil mehrere andere Inhaltsstoffe aus der Milch die Aufnahme verbessern, neben Laktose z. B. auch Vitamin D.
Milchfett trägt nicht nur viele der fettlöslichen Vitamine A, D, E und K, sondern auch Aromastoffe. Dass Fett Geschmacksträger ist, kommt also nicht von ungefähr: Es gibt der Milch ihren typischen Geschmack und ihre spezielle Textur. Frische, unbehandelte Milch enthält ca. 4 Prozent Fett. Bei der Milch, die du im Supermarkt kaufen kannst, ist der Fettanteil reduziert, bei Vollmilch auf etwa 3,5 bis 3,8 % und bei fettarmer Milch auf 1,5 bis 1,8 %.
Milcheiweiß ist besonders hochwertig und aus besonders hochwertigen Eiweißbausteinen zusammengesetzt: Sogenannte essentielle Aminosäuren, die der Körper zwar nicht selbst herstellen kann, aber dringend benötigt, sorgen für den Aufbau der Muskeln, Organe, Knochen, Haut und Haaren. Auch Enzyme und Hormone bestehen aus Eiweiß. Besonders reich an Milcheiweiß sind vor allem Magerquark und Käse.
Was sind das für Hieroglyphen?
Jetzt wisst ihr (hoffentlich) noch etwas mehr über Milch als vorher schon. Aber wo kommt die aus meinem Kühlschrank denn jetzt eigentlich genau her? Das ist relativ einfach zu erkennen: Jede Milchpackung und jede Verpackung aller anderen Milchprodukte, egal ob Käse, Joghurt oder Sahne, haben einen Aufdruck mit dem sogenannten EU-Identitätskennzeichen. Damit kannst du herausfinden, wo die Produkte verarbeitet wurden.
Wenn du noch wissen möchtest, welche hessische Molkerei hinter einer Produktionsstätte steckt, kannst du dich z. B. auch hier einmal umschauen: https://www.milchhessen.de/mediaarchiv/grab_pic.php?id=25600
Frischer geht’s nimmer – Milch direkt vom Bauern
Sicherlich habt ihr auch schon Milchautomaten oder eine Milchtankstelle gesehen. Viele hessische Bauern haben an ihrem Bauernhof einen Milchautomaten oder eine Milchtankstelle aufgebaut. Dort könnt ihr, meistens rund um die Uhr, frische Milch, direkt aus dem Kuhstall in ein mitgebrachtes Gefäß abfüllen und zu Hause genießen. Die meisten Bauern verkaufen dort Rohmilch, also die Milch, wie sie aus der Kuh kommt. In dem Automaten wird sie dann gekühlt, damit sie nicht verdirbt.
Wellness- und Technikrohstoff
Ihr müsst nicht Kleopatra höchstpersönlich sein, um in Milch baden zu können. Denn sie ist abseits unseres Speiseplans ebenso bei ganz anderen alltäglichen Dingen nicht wegzudenken.
Beim täglichen Duschen oder sonntäglichen Baden, bei der Körperpflege im Allgemeinen, als hochklassiges Wellnessprodukt und Hausmittel gegen Sonnenbrand, als Bestandteil von Medikamenten oder Kunststoffen zeigt die Milch einmal mehr, wie vielseitig sie ist.