Einstiger Superstar
Wie die allermeisten unserer domestizierten und heute von uns angebauten Getreidearten, stammt Roggen aus der Kaukasusgegend am Schwarzen Meer. Gezielt angebaut wird er seit etwa 4.000 vor Christus, blieb aber lange Zeit eine eher unbedeutende Feldfrucht und breitete sich als Unkraut gen Westen aus.
Ab ca. 500 n. C. sprachen sich die Vorzüge des Roggenanbaus in Mitteleuropa herum und der Anbauumfang nahm zu. Besonders auf kargen und ungünstigen Standorten verdrängte er durch seine Robustheit die anderen Getreidearten. Dies hatte zur Folge, dass sich Roggen während des 12. und 13. Jahrhunderts in vielen Gegenden Deutschlands zur Hauptbrotfrucht entwickelte.
Noch bis zum Zweiten Weltkrieg übertraf die Anbaufläche des Roggens die des Weizens. Heute undenkbar! Die Anbaufläche in Deutschland entspricht ungefähr einem Sechstel der Anbaufläche von Winterweizen, in Hessen mit etwa 15.000 Hektar gar nur knapp einem Zehntel.
Wusstet ihr, dass es in einigen Regionen Deutschlands sogar verboten war, Roggen zu Bier zu verbrauen, um die Brotversorgung sicherzustellen? Weil man mit Roggen auch sehr gut Backen kann, wurde in Deutschland etwa zu Kriegs- oder Dürreziten, also zu Zeiten in denen das Getreide knapp war, die Produktion von Roggenmalz zum Brauen von Roggenbier verboten.
Macht das Beste aus widrigen Umständen
Roggen ist die anspruchsloseste Getreideart in unseren hiesigen Gefilden. Er verträgt raues und kaltes Klima gut und kann auf allen Böden, ob sandig oder schlecht mit Kalk versorgt, angebaut werden. Auch trockene Sommer können ihm nichts anhaben. Er ist auf leichten und sandigen Böden sogar gegenüber anderen Getreidearten im Vorteil, da seine tiefreichenden und sich verzweigenden Wurzeln auch bei vergleichsweise schlechter Wasserversorgung sichere Erträge bringt. Auch eisige Temperaturen können ihm kaum etwas anhaben. Die im Herbst gesäten Pflänzchen vertragen Temperaturen bis minus 25 Grad Celsius. Roggen ist damit die frosthärteste unserer Getreidesorten.
Imposante Erscheinung auf dünnen Beinen
Um Roggen auf unseren Feldern erkennen zu können, braucht man gar nicht nah heranzugehen. Zu erkennen ist das Getreide an den bis zu zwei Meter langen Halmen sowie den vergleichsweise feinen und langen Ähren. Die Größenvorteile mögen zwar zuerst als Privileg gelten, doch neigen Roggenpflanzen durch die langen, aber trotzdem dünnen Halme dazu, dass sie bei Starkregen instabil werden und umknicken. Dieses sog. Lagergetreide macht es zum einen unseren Mähdreschern schwerer, die Pflanzen mit ihren Schneidwerken aufzunehmen, zum anderen und noch viel weitreichender sind die Qualitätseinbußen, die sich daraus ergeben. Weil Lagergetreide in Bodennähe oft feucht ist und schlecht abtrocknet, können die noch längst nicht geernteten Körner bereits in Keimstimmung kommen und anfangen auszuwachsen. Neben Ertragseinbußen sind die Qualitätskriterien für Backroggen dann nicht mehr zu halten, das Getreide lässt sich nur zu einem geringen Preis vermarkten. Da die Konsequenzen von lagerndem Getreide zum Teil den gesamten Gewinn des Anbaus aufzehren, sind vorbeugende Maßnahmen Pflicht. Auf den Hormonhaushalt wirkende Wachstumsregulatoren machen das Getreide standfest.
Aromatisch, haltbar aber auch haltlos
Roggen bringen wir natürlich automatisch mit Brot und Brötchen in Verbindung. Alleinstellungsmerkmale: Neben dem typischen und aromatischen Geschmack, trocknet Roggenbrot deutlich langsamer aus als z. B. die Pendants aus Weizen. Kein Wunder also, dass Roggenbrote deshalb als Vorratsbrote beliebt sind, z. B. als Schwarzbrot oder Pumpernickel. Dabei ist das Backen bei weitem nicht so einfach wie mit Weizen, hier ist Unterstützung gefragt. Roggenbrote werden nämlich erst dann backfähig, wenn Sauerteig zugegeben wird. Ohne Ansäuerung fiele der Teig aus Roggenmehl zusammen, da Enzyme so viel Stärke abbauen, dass kein Teiggerüst und somit auch keine Brotkrume gebildet werden könnte. Wiederum andere Enzyme verhindern, dass sich im Teig aus Roggenmehl Klebestoffe ausbilden können, so wie wir es z. B. von Weizenmehlen kennen.
Das Mischbrot ist eine der beliebtesten Brotsorten Deutschlands. Als solches werden Brote bezeichnet, die aus einer Mischung aus Roggen- und Weizenmehl hergestellt werden. Enthält das Brot mehr Roggen- als Weizenmehl, spricht man von einem Roggenmischbrot. Enthält es wiederum mehr Weizen- als Roggenmehl ist es ein Weizenmischbrot. Ab einem Anteil von >90% Roggenmehl wird Brot als Roggenbrot bezeichnet.
Die Allzweckwaffe
Etwa nur ein Viertel der in Deutschland geernteten Roggenkörner wird auch zu Mehl vermahlen und liefert damit auch die Qualitätseigenschaften für leckeres Brot und Brötchen. Das genügt aber, um die Bedarfe der Mühlen und Bäcker zu
decken. Der deutsche Selbstversorgungsgrad bei Roggen pendelt sich schon seit Jahrzehnten bei 100 % ein. Etwa ein weiteres Viertel der Roggenernte wird für die Produktion von Bioethanol verwendet. Während ein sehr ein kleiner Anteil der Roggenernte zur Herstellung von Wodka, Korn und Whisky Verwendung findet, ergänzt eine Ganzpflanzensilage aus Grünroggen in vielen Biogasanlagen gängigere Substrate wie Mais. Etwa im Mai werden dann ganze Pflanzen spezieller Roggensorten, die überdurchschnittlich viel Biomassen bilden, klein gehäckselt und vom Feld abgefahren.
Auch unsere Schweine lassen sich Roggen schmecken. Zwar sind die Inhaltstoffe der Roggenkörner nicht die vorzüglichsten und können hinsichtlich der Proteingehalte nicht mit Weizen mithalten, doch gewinnt er wegen seiner besonderen Eignung für nährstoffreduzierte Fütterungsstrategien bei interessierten Betrieben an Bedeutung.
Eine immer beliebtere Getreideart zu Futterzwecken ist Triticale. Und an dieser erstmals im 19. Jahrhundert entdeckten Getreideart hat Roggen einen entscheidenden Beitrag geleistet. Sie ist nämlich eine Kreuzung aus Weizen und Roggen. Erfolgreiche Züchtungen konnten etwa in den letzten vierzig Jahren leistungsstarke Sorten hervorbringen, die die Anspruchslosigkeit des Roggens mit der Qualität des Weizens vereinen.
Früher gefürchtet, heute unter Kontrolle
Roggen kann vom sog. Mutterkornpilz befallen werden, der durch die Ausbildung brauner Fruchtkörper (Sklerotien) an der Ähre sichtbar wird. Vor allem im Mittelalter bis hin ins 19. Jahrhundert traten infolge von Verunreinigungen des Mehls mit Mutterkorn massenhafte Vergiftungen ganzer Dörfer und Städte auf. Schon fünf bis zehn Gramm Mutterkorn sind nämlich schon tödlich.
Aber ihr braucht keine Angst haben, dass euch das nächste Roggenbrötchen im Halse stecken bleibt. Hier haben die Züchter entsprechende Sorten mit viel geringerer Anfälligkeit entwickelt. Auch tritt Mutterkorn vor allem dann auf, wenn es zur Blütezeit Ende Mai bis Anfang Juni viel regnet. Ein verstärkter Befall mit Mutterkorn ist also alles andere als die Regel. Das letzte „Mutterkorn-Jahr“ war 2004. Selbst in diesen Jahren könnt ihr aber unbesorgt zu Roggenprodukten greifen. Neben vorbeugenden Maßnahmen von Pflanzenzüchtern und auch von uns auf dem Acker werden die Roggenkörner vor der Verarbeitung mit Sieb und Scanner sorgfältig sortiert und danach gereinigt.