Alles nur ein Versehen?
Das was man gemeinhin als Weizen bezeichnet und heute auf vielen unserer Feldern wächst, ist genau genommen Weichweizen. Es war ein ganz schön langer Weg bis die Menschen aus einem Wildgras eine der bedeutendsten Nutzpflanzen geschaffen haben. Bereits vor 10.000 bis 12.000 Jahren sammelten Menschen Wildgräser. Dabei streuten sie die Körner wohl versehentlich aus, begannen dann aber die daraus entstandenen Pflanzen zu pflegen und sie bewusst anzupflanzen. So entstanden die Vorfahren unsers heute angebauten Weichweizens: Das Einkorn. Von Anfang an schon haben die Menschen nach Ertrag und Korngröße selektiert – der Beginn der äußerst erfolgreichen Weizenzüchtung. Erste Kreuzungen von Weizenarten waren wohl noch keine Absicht, sondern kamen daraus hervor, dass der Wind die Samen der Pflanzen weitergetragen hat. An unserem heutigen Weichweizen sind gleich mehrere Wildarten beteiligt: Durch eine zufällige Kreuzung mit einem Ziegengras entwickelte sich im Laufe der Zeit das Urgetreide Emmer, und aus diesem wiederum der Weichweizen.
Weizen ist eine Getreideart aus der botanischen Familie der Süßgräser. Als Botaniker will man es in der Regel aber noch viel genauer wissen: Er gehört zur Gattung Triticum. Alle Triticum-Arten haben ihren genetischen Ursprung im so genannten Fruchtbaren Halbmond. Dieser umfasst das östliche Mittelmeer, den südöstlichen Teil der Türkei, den Nordirak und den westlichen Iran.
Gut zu wissen: Domestizierung beschreibt den Veränderungsprozess von Wildpflanzen oder Wildtieren hin zu Kulturpflanzen und Haustieren, der durch den Menschen über Generationen hinweg entstand.
Der Platzhirsch
Lange Zeit blieb der Anbau hinter dem der Hauptgetreidearten Einkorn, Emmer und Gerste weit zurück. Erst durch das Weißbrot, das ab dem 11. Jahrhundert in Mode kam, etablierte sich der Weizen. So ist er die von uns hessischen Bauern am häufigsten angebaute Getreideart und nimmt mit etwa 165.000 Hektaren den größten Anteil der Getreideanbauflächen in Hessen ein. Das ist aber kein Selbstläufer: Weizen stellt nicht nur an uns, sondern auch an Klima, Boden und Wasserversorgung höhere Ansprüche als andere Getreidearten.
In den allermeisten Fällen handelt es sich auf unseren Feldern um Winterweichweizen. Sommerweichweizen und Hartweizen (Durumweizen) findet man nur noch selten.
Wenn wir Bauern von Wintergetreide sprechen, heißt das, dass die Pflanzen überwintern. Winterweizen wird im Oktober gesät und im Sommer geerntet. Sommergetreide hingegen überwintert nicht und wird erst im Frühjahr gesät und schon wenige Monate später wieder geerntet.
Eindrucksvolle Vervielfachung
Je nach Saatzeitpunkt und Bodenbedingungen wachsen bei 220 bis 450 gesäten Weizenkörnern aus jeder Pflanze zwei bis drei Ähren tragende Halme aus. Das entspricht dann ca. 350 bis 700 Halmen je Quadratmeter bei 25 bis 40 Körner je Ähre. Keine Angst, hier folgt nun keine Rechenaufgabe. Der hessische Durchschnittsertrag liegt bei etwa 16.000 Weizenkörnern je Quadratmeter Weizenfeld und entspricht etwa 800 Gramm Weizen. Diese Menge reicht gerade so für ein 1 Kilogramm schweres Weizenbrot. Wie ihr wisst, ist unsere Bezugsgröße in der Regel aber nicht nur ein Quadratmeter: Von einem Hektar Weizenfeld ernten wir also in der Regel 8 Tonnen Weizenkörner.
Einige Regionen in Hessen haben das Potenzial, noch höhere Erträge zu liefern. Auf den guten Böden der Schwalm, der Wetterau oder des Limburger Beckens lassen sich auch schon einmal bis zu 11 Tonnen Weizenkörner je Hektar ernten. Durch diese hohen Erträge ist der Winterweizen allen anderen Getreidearten überlegen. So kommen in Hessen jährlich beachtliche Mengen an Weizen zusammen: 1,3 Millionen Tonnen.
Nun an die Rechenmeister unter euch: Wie viele Weizenbrote lassen sich aus der Menge an Weizenkörnern, die wir jährlich von unseren Feldern in Hessen ernten, herstellen?
Erntestress
Wir ernten unsere Weizenfelder im Spätsommer ab. Dabei stehen uns und unseren Mähdreschern nur ein recht kleines Erntefenster von 2 bis 3 Wochen zur Verfügung. Bei optimalen Bedingungen werden die Nächte also schon einmal kurz! Während die Körner von uns schnell ins Trockene gebracht werden müssen, bleibt das Stroh entweder kleingehäckselt auf dem Feld liegen und kann dort als Dünger wirken oder wird von uns zu Strohballen – ob rund oder eckig – gepresst und zum Beispiel als Einstreu für die Tiere abgefahren.
Alles nur für Brötchen?
Im Weizenkorn werden Stärke und Eiweiß gespeichert. Dass Weizen weltweit als Futter- und Nahrungsmittel eine enorme Rolle spielt, überrascht also erst mal keinen. Neben Reis ist Weizen die wichtigste Getreideart für die direkte menschliche Energiezufuhr. Wusstet ihr, dass auf Weizenprodukte somit fast jede fünfte Kalorie zurückgeht, die wir Menschen direkt zu uns nehmen? Und zwar in Form von Brot, Brötchen, Kuchen, Keksen und Co, für deren Herstellung Weichweizen in erster Linie verwendet wird, aber z. B. auch als Grieß, Grütze, Graupen, Weizenbier, Branntwein (Korn), Weizenkeimöl und Stärke.
Die Extraportion Eiweiß
Für die Herstellung von Backwaren eignet sich aber nicht jede Weizensorte, da der Proteingehalt im Korn für die weitere Verwendung eine Schlüsselrolle spielt. Er beeinflusst viele für die Weiterverarbeitung wichtige Eigenschaften des Mehles, insbesondere die Qualität des Klebereiweißes – besser bekannt als Gluten. Somit steht der Proteinanteil im Weizenkorn in direktem Zusammenhang mit dem Aussehen und der Textur der Backwaren. Der Ziel-Proteingehalt richtet sich also vor allem an der späteren Verwendung des Mehles aus und ist maßgebend für die Einteilung unserer Ernte in Backqualitätsgruppen. Übrigens: Für die Herstellung von Nudeln ist Hartweizen (Triticum durum) besonders gut geeignet und wird – passenderweise – überwiegend in Italien angebaut.
Im Labor wird die Qualität des Mehls durch den Ausmahlungsgrad bestimmt, der durch den sog. Ascheanteil im Mehl angegeben wird. Wenn man z. B. Mehl des Typs 405 verbrennt, bleiben 40,5 % des Ausgangsgewichts als Asche übrig – Die Mehltype gibt den durchschnittlichen Mineralstoffanteil eines Mehles bezogen auf die verbrannte Mehlmasse an.
Wusstet ihr, dass wir unseren Weizen in 5 Backqualitätsgruppen einteilen können? Eliteweizen, Qualitäts- bzw. Aufmischweizen, Back- bzw. Brotweizen, C-Futterweizen, CK-Keksweizen
Zwischen Futtertrog und Expressversand
Je höher der qualitätsbestimmende Proteingehalt der Weizenkörner sein soll, desto mehr sind unsere Weizenpflanzen auf eine optimale Stickstoffversorgung angewiesen. Das Zusammenspiel zwischen Düngung, Bodeneigenschaften und klimatischen Bedingungen entscheidet also schlussendlich über die regionalen Möglichkeiten, Weizen überhaupt in hohen Qualitäten anbauen zu können. Für Hessen bedeutet das: Fast die Hälfte des Weizens, den wir auf unseren Feldern anbauen, ist Futterweizen. Aber auch Reste aus der Mühle oder der Brauerei landen noch in den Futtertrögen unserer Tiere. Generell liefert neben Weizen vor allem auch Gerste mit seinem hohen Stärkeanteil viel Energie, sodass es den Hauptanteil der Mischfutterzutaten für Geflügel und Schweine ausmacht.
Außerdem wird Weizenstärke auch in vielen Bereichen der Industrie verwendet. Diese industrielle bzw. technische Nutzung von Weizen spielt besonders in der Europäischen Union eine nicht unerhebliche Rolle. Heute wird Weizen eher weniger als Rohstoff für die Energiegewinnung (Ethanol) nachgefragt, sondern findet Weizenstärke vielmehr in anderen technischen Industriezweigen Abnehmer. Sie kann z. B. für die Herstellung von Waschmitteln, Kosmetika oder in Pharmazieprodukten verwendet werden. Vor allem die Papier- oder Kleisterherstellung in der Verpackungsindustrie, angetrieben durch den rasant wachsenden Internet-Versandhandel, macht Weizenstärke zur Herstellung von Versandkartons aus Wellpappe immer interessanter.